mutter unsichtbar (2025) Digital Arts by Christine Stock (Limonezitrone)

mutter unsichtbar

ich habe meine mutter heute
im staub auf dem fernseher gefunden,
zwischen der werbung für „perfekte mütter“
und einem film über kinder, die niemals weinen dürfen

sie schlich durch die ecken,
mit hausschuhen aus schweigen,
während ihre hände
die luft schnitten,
bevor sie uns berührte

sie kochte mit stillen worten,
so scharf wie schneidebretter
und würzte mit angsterinnerungen
die bis tief in den magen zogen

ihr lachen war ein dröhnen
im anderen raum,
ein hallen von etwas,
das niemals zu uns kam,
als wir uns versteckten
und nicht laut genug weinen durften

mutter ist da,
wo keine träume sind
und das licht nur dann leuchtet,
wenn es sich hinter einem
vorhang aus furcht versteckt

sie hat nie ihren namen gesagt,
nur „sei brav“
und „stell dich nicht so an“,
als sie mir meine worte raubte
und den platz zum atmen

wenn ich groß bin,
werde ich sie suchen
in jedem spiegel,
auf jedem fliesenboden,
in der stille zwischen meinen atemzügen,
die ich erst dann wieder höre.

Limonezitrone 🍋


„Mutter Unsichtbar“ ist ein eindringliches Gedicht, das die zarte, aber schmerzhafte Beziehung zwischen einer Tochter und ihrer Mutter in einer Kindheit beleuchtet, die von emotionalem Missbrauch geprägt ist. In einer Welt, in der Nähe oft nur ein leeres Versprechen bleibt, sucht die Erzählerin nach der Mutter, die nie wirklich da war – eine Mutter, deren Präsenz sich in Schweigen, unerfüllten Erwartungen und der ständigen Abwesenheit von Liebe verliert.

Mit einer Sprache, die gleichermaßen poetisch und unheimlich ist, entwirft dieses Gedicht ein Bild von emotionaler Verlassenheit und der verzweifelten Sehnsucht nach Bindung. Zwischen den Zeilen schwingt die Erinnerung an eine Kindheit, in der das „Muttersein“ eine ungreifbare, fast übernatürliche Figur wird, die in den alltäglichen, oft unscheinbaren Momenten weiterlebt.

„Mutter Unsichtbar“ ist eine Reise in die Dunkelheit der seelischen Verwundungen und zugleich ein berührendes Plädoyer für die Suche nach Heilung – nach dem Finden von sich selbst, auch wenn die Mutter niemals wirklich gefunden werden kann. Ein Gedicht, das sowohl Trauer als auch Hoffnung in sich trägt und den Leser mit einer Frage zurücklässt:

Wie lebt man weiter, wenn das, was man am meisten brauchte, nie wirklich da war?

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