Interview | Paolo Castagna: Kunst war in meinem Leben immer präsent

Interview | Paolo Castagna: Kunst war in meinem Leben immer präsent

Olimpia Gaia Martinelli | 04.07.2025 8 Minuten Lesezeit 0 Kommentare
 

„Neugier hat mich schon immer dazu angetrieben, immer weiter zu gehen, neue Herausforderungen zu suchen und meine Grenzen zu erweitern. Die Schaffung einzigartiger Stücke, das Ergebnis handwerklicher Arbeit und kontinuierlicher Forschung, ist meine größte Befriedigung. Jedes Werk ist ein Teil von mir – ein Fragment meiner Geschichte und meiner Emotionen.“ …


Was hat Sie dazu inspiriert, Kunst zu schaffen und Künstler zu werden? (Ereignisse, Gefühle, Erfahrungen …)

Kunst war schon immer ein fester Bestandteil meines Lebens – ein tiefes Bedürfnis, mich auszudrücken und mit anderen in Kontakt zu treten. Doch erst während meiner zwanzigjährigen Erfahrung im traditionellen Siebdruck wurde diese Leidenschaft zur wahren Berufung.

Durch den Siebdruck konnte ich eine breite Palette von Materialien und Techniken erkunden und mit der Zeit ein tiefes Verständnis für ihr Ausdruckspotenzial entwickeln. Die Entdeckung von Beton war eine echte Offenbarung. Seine Rauheit, seine Fähigkeit, sich unter meinen Händen zu verwandeln, faszinierte mich von Anfang an. Ich begann zu experimentieren – Beton mit anderen Materialien zu mischen und so einzigartige Texturen und Oberflächen zu schaffen.

Neugier hat mich schon immer dazu angetrieben, weiterzugehen, neue Herausforderungen zu suchen und meine Grenzen zu erweitern. Die Schaffung einzigartiger Stücke, das Ergebnis handwerklicher Arbeit und kontinuierlicher Forschung, ist meine größte Befriedigung. Jedes Werk ist ein Teil von mir – ein Fragment meiner Geschichte und meiner Emotionen.

Was ist Ihr künstlerischer Hintergrund und welche Techniken und Materialien haben Sie bisher erkundet?

Meine künstlerische Reise beginnt mit dem handwerklichen Siebdruck – einer Technik, die ich zwanzig Jahre lang erforscht und verfeinert habe. Es ist ein Handwerk, das aus wiederholten Gesten und tiefer Materialkenntnis besteht. Ich betrachte Siebdruck gerne als Dialog zwischen Künstler und Oberfläche – eine Interaktion, die Präzision und Feingefühl erfordert.

Im Laufe der Jahre habe ich mit einer Vielzahl von Materialien experimentiert: Stoff, Papier, Holz, Metall. Jedes hat seine eigene Persönlichkeit, seine eigene Widerstandsfähigkeit, seine eigene Art, Farbe aufzunehmen. Doch die Entdeckung von Beton revolutionierte meine Arbeit wirklich. Die Materialität des Betons – seine Fähigkeit, sich in meinen Händen zu verwandeln – faszinierte mich von Anfang an.

Ich begann, es mit anderen Elementen wie Sand, Erde und natürlichen Pigmenten zu mischen und so unregelmäßige Oberflächen voller Nuancen und Kontraste zu schaffen. Beton ermöglichte mir den Einstieg in die dreidimensionale Arbeit und löste mich von den zweidimensionalen Grenzen des Siebdrucks. Ich begann, Skulpturen zu modellieren, Installationen zu schaffen und Wände zu bedecken.

In all meinen Werken liegt ein starker Schwerpunkt auf Handarbeit. Ich liebe es, mir die Hände schmutzig zu machen, das Material unter meinen Fingern zu spüren und mit neuen Kombinationen zu experimentieren. Kunst ist für mich ein sinnliches Erlebnis – eine Reise zur Entdeckung neuer Ausdrucksmöglichkeiten.

Welche drei Aspekte heben Ihre Arbeit von denen anderer Künstler ab und machen sie einzigartig?

Was meine Arbeit einzigartig macht, ist die Fähigkeit, ein scheinbar kaltes und lebloses Material wie Beton in etwas Lebendiges – voller Emotionen – zu verwandeln. Mein kreativer Prozess beginnt mit einer vagen Idee, einem Bild, das sich in meinem Kopf formt. Dann beginne ich mit Beton bedeckten Händen, diese Vision zu formen und ihr Gestalt zu verleihen. Die Unvollkommenheiten, die dabei entstehen, sind keine Fehler – sie sind Zeichen von Authentizität und Handwerkskunst.

Jede Skulptur ist eine Reise – eine fortwährende Erkundung des Ausdruckspotenzials von Beton. Und am Ende hoffe ich, dem Betrachter ein Gefühl des Staunens, der Überraschung und der Verbundenheit mit der Natur und dem Material selbst zu vermitteln.

Woher kommt Ihre Inspiration?

Der brutalistische Stil war für mich eine wahre Offenbarung. Seine Kraft, Ehrlichkeit und Fähigkeit, emotional aufgeladene Räume zu schaffen, haben mich tief inspiriert. Mir gefällt die Idee, mit Beton Miniaturarchitekturen zu schaffen – kleine säkulare Kathedralen, die zum Nachdenken und Reflektieren einladen. Meine Skulpturen sind wie Fragmente imaginärer Gebäude, schwebend zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Was ist Ihr künstlerischer Ansatz? Welche Visionen, Empfindungen oder Emotionen möchten Sie beim Betrachter hervorrufen?

Meine Arbeiten sind urbane Archäologien. Ich nehme Teile der Stadt, Fragmente einer industriellen Vergangenheit, und setze sie zu neuen Lebensformen zusammen. Mein Ziel ist es, ein Gefühl von Nostalgie und Zugehörigkeit zu wecken und den Betrachter zum Nachdenken über die Geschichte und Entwicklung unserer gebauten Umwelt anzuregen. Meine Skulpturen sind wie Narben der Zeit und erzählen Geschichten von Wachstum und Verfall.

Wie läuft Ihr kreativer Prozess ab? Ist er spontan oder erfordert er eine lange Vorbereitungsphase (technisch, kunsthistorisch inspiriert oder etwas anderes)?

Mein kreativer Prozess ist ein ständiger Dialog mit dem Material. Ich beginne mit einer Idee, einem Bild, das in meinem Kopf Gestalt annimmt. Dann beginne ich, dieser Vision Gestalt zu geben. Doch oft übernimmt das Material die Oberhand – und schlägt neue Richtungen und Formen vor. Es ist, als würde man die Geburt eines neuen Lebewesens miterleben – immer überraschend und unerwartet.

Verwenden Sie eine besondere Arbeitstechnik? Wenn ja, können Sie uns diese erklären?

Meine künstlerische Praxis basiert auf einem kontinuierlichen Dialog zwischen Form und Material. Silhouetten dienen mir als Rahmen, als Gefäße, in denen meine Skulpturen entstehen. Frischer, noch formbarer Zement wird zu meinem Ton – dem Material, das ich mit meinen Händen forme. In diesem Moment erwacht das Kunstwerk zum Leben, Formen werden definiert und Emotionen entstehen.

Gleichzeitig arbeite ich auch mit vorgefertigten Betonblöcken, die ich mit traditionelleren Werkzeugen bearbeite. Meißel und Hammer ermöglichen es mir, die verborgene Schönheit des Rohmaterials freizulegen und Kontraste zwischen glatten und rauen Oberflächen, zwischen Vollflächen und Hohlräumen zu schaffen.

Bei beiden Techniken ist die Akzeptanz von Unvollkommenheiten grundlegend. Risse, Luftblasen und Unregelmäßigkeiten werden zu einem integralen Bestandteil des Werks und zeugen vom Entstehungsprozess und der Natur des Materials. Sie erzählen die Geschichte der Skulptur.

Gibt es innovative Aspekte in Ihrer Arbeit? Können Sie uns sagen, welche das sind?

Die Arbeit mit Beton erfordert großes Feingefühl und ein tiefes Verständnis des Materials. Das Bearbeitungsfenster ist begrenzt, was die Entwicklung einer präzisen und schnellen Technik erfordert. Doch gerade diese Herausforderung macht die Arbeit mit Zement so faszinierend und anregend. Das richtige Gleichgewicht zwischen Sand, Zement und Wasser zu finden und den Prozess optimal zu timen, ist entscheidend.

Haben Sie ein bevorzugtes Format oder Medium? Wenn ja, warum?

Aus praktischen Gründen und wegen der Zugänglichkeit arbeite ich am liebsten an kleinen Skulpturen. Obwohl Zement ein faszinierendes Material ist, erschwert sein spezifisches Gewicht die Handhabung und Ausstellung großformatiger Werke. Kleine Skulpturen geben mir mehr Kontrolle über den kreativen Prozess und ermöglichen mir die Herstellung von Werken, die sich in verschiedenen Kontexten leicht präsentieren lassen und so der Öffentlichkeit zugänglicher sind.

Wo schaffen Sie Ihre Werke? Zu Hause, in einem Gemeinschaftsatelier oder in Ihrem eigenen Atelier? Und wie organisieren Sie Ihren kreativen Prozess dort?

Mein Atelier ist mein Zufluchtsort – ein Ort, an dem ich meiner Kreativität freien Lauf lassen kann, fernab von den Ablenkungen der Außenwelt. Im Laufe der Jahre habe ich diesen Raum mit unzähligen Gegenständen gefüllt, die meine Fantasie beflügeln. Es ist ein bisschen wie eine Arche Noah, in der verschiedene Materialien, antike Werkzeuge und unfertige Arbeiten nebeneinander existieren. Auch wenn es chaotisch erscheinen mag, ist in meinem Kopf alles sehr gut organisiert, und jedes Element hat seinen eigenen Platz.

Müssen Sie für Ihre Arbeit reisen, um neue Sammler kennenzulernen, Kunstmessen oder Ausstellungen zu besuchen? Wenn ja, was nehmen Sie mit?

Meine Arbeit befindet sich derzeit noch in der Anfangsphase. Es gab bisher nur wenige Gelegenheiten, meine Stücke persönlich zu präsentieren, aber ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändern wird. Die Teilnahme an Messen und Ausstellungen wäre eine fantastische Gelegenheit, neue Sammler kennenzulernen und neue Kooperationen aufzubauen. In der Zwischenzeit nutze ich das Potenzial des Internets, um meine Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Wie stellen Sie sich die Entwicklung Ihrer Arbeit und Ihrer künstlerischen Karriere in der Zukunft vor?

Ich sehe meine künstlerische Reise als eine kontinuierliche Entwicklung. Beton ist ein faszinierendes Material, aber ich möchte auch andere Ausdrucksmöglichkeiten erkunden. Ich experimentiere gerne mit neuen Materialien und Techniken, um immer originellere und überraschendere Werke zu schaffen. Ich bin gespannt, wohin mich diese Entdeckungsreise führen wird, und ich bin sicher, dass meine Arbeit mich immer wieder überraschen wird.

Was ist das Thema, der Stil oder die Technik Ihrer neuesten künstlerischen Produktion?

Meine neueste Arbeit gehört zu einem Stil, den ich als brutalistisch bezeichnen würde, mit einem starken Schwerpunkt auf geometrischen Formen und der rohen Materialität von Beton. Ich versuche jedoch, diese Starrheit durch die Einbeziehung natürlicher Elemente wie Pflanzen aufzuweichen. Die Idee ist, einen Dialog zwischen der Festigkeit der Skulptur und der Leichtigkeit der Vegetation zu schaffen – ein Kontrast, der eine sehr fesselnde visuelle Spannung erzeugt.

Können Sie uns von Ihrem bedeutendsten Ausstellungserlebnis erzählen?

Das wichtigste fand in dem Dorf statt, aus dem meine Familie stammt. Der Kontrast zwischen der ländlichen, intimen Umgebung des Dorfes und dem zeitgenössischen Charakter meiner Werke führte zu einem sehr interessanten Dialog. Die Ausstellung meiner Skulpturen an einem Ort, der so weit von städtischen Zentren entfernt ist, ermöglichte es mir, über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft und ihre Fähigkeit, über konventionelle Ästhetik hinaus zu kommunizieren, nachzudenken.

Wenn Sie ein berühmtes Kunstwerk der Kunstgeschichte nachbilden könnten, welches würden Sie wählen – und warum?

Ich würde „Guernica“ von Picasso wählen. Ich könnte mir vorstellen, eine brutalistische Version von „Guernica“ zu schaffen, bei der die Figuren fragmentiert und in einfache geometrische Formen zerlegt und in Beton gemeißelt werden. Das Ergebnis würde das Gefühl von Gewalt und Zerstörung verstärken und dem Werk gleichzeitig eine neue Monumentalität verleihen.

Wenn Sie einen berühmten Künstler (lebend oder tot) zum Abendessen einladen könnten, wer wäre das? Wie würden Sie vorschlagen, den Abend zu verbringen?

Wenn ich einen berühmten Künstler zum Abendessen einladen könnte, würde ich zweifellos David Lynch wählen. Sein kreativer und visionärer Geist – der surreale und beunruhigende Atmosphären schaffen kann – hat mich schon immer fasziniert. Ich stelle mir ein Abendessen in einem sanft beleuchteten Raum mit einer ruhigen, leicht geheimnisvollen Atmosphäre vor, genau wie in seinen Filmen.

Für die Aktivität nach dem Abendessen würde ich etwas wirklich Einzigartiges vorschlagen: gemeinsam die fünf spannendsten Minuten des Derbys zwischen Turin und Juventus Turin von 1983 anzuschauen, von der 70. bis zur 75. Minute …


Weitere Artikel anzeigen
 

ArtMajeur

Erhalten Sie unseren Newsletter für Kunstliebhaber und Sammler